Die Gedanken sind frei

von Susanne Altmann, erschienen im »Kreuzer«, März 2003
(Auszug)

Ein Garten, ein Film und 15 Portraits - Kunstprojekte von Valentina Seidel, Bea Meyer und Clemens von Wedemeyer in sächsischen Haftanstalten »›Meine Gedanken und Gefühle sind frei, ohne sie wäre ich im Laufe der Jahre im Gefängnis zerbrochen. Mein Bild zeigt meine Sehnsüchte, aber auch meine Willensstärke.‹ Diese Sätze schreibt Dirk als Begleittext zu seinem Porträt im Fernsehraum und: ›Das Leben ist hier geformt und ich kann mich nicht selbst entscheiden. Deshalb muß ich mich in meine Phantasiewelt flüchten.‹ Als Laiendarsteller einer solchen Phantasiewelt erscheint uns der junge Häftling denn auch, wie er in eine Art Toga eingehüllt vor der Kamera von Valentina Seidel posiert – unbeholfen und verführerisch zugleich. Die Fotografin und Absolventin der HGB ist eine von drei Künstlern, die ›Kunst im Strafvollzug‹ realisiert haben.

Das Sächsische Staatsministerium für Justiz hatte die Initiative ergriffen und den Kontakt zur Leipziger Hochschule gesucht. Unter den Studierenden war das Interesse zunächst groß, fasziniert nahmen viele an Exkursionen in die Haftanstalten von Waldheim, Mittweida oder Dresden teil. In Mittweida erwartete sie ein trutziger, historistischer Bau, der aus seiner Funktion keinen Hehl macht – in Dresden hingegen überraschte sie ein nagelneues Vorzeigeobjekt aus Glas, Stahl und Beton. Bea Meyer erinnert sich an diesen ›Tag der offenen Tür‹, an die austauschbare, moderne Architektur in der ›die Gefangenen wie in einem Zoo begafft werden konnten‹. Die Insassen fühlten sich unwohl, die Besucher nicht minder. Beim voyeuristischen Blick in die Zellen fiel auf, dass dort auf engstem Raum intime Idyllen enstanden waren. Armselige Zimmerpflanzen ersetzen das ringsum fehlende Grün und nicht zuletzt das soziale Bedürfnis von Obhut und Pflege.

[…]

In einem weitaus vertraulichem Rahmen machte Valentina Seidel ein ähnliches Angebot. Sie traf die Beteiligten ihres Porträtszyklus’ ›Wanted‹ und forderte sie zur Zusammenarbeit auf, zur Selbstinszenierung. Innerhalb von sechs Monaten enstanden so 15 Porträts von Inhaftierten in deren Eigenregie. Valentina Seidel versteht sich weit mehr als Vermittlerin oder Erfüllungsgehilfin von Wünschen, denn als Fotografin. Während sich Dirk also lieber romantisch und etwas pathetisch darstellt, präsentiert sich der tätowierte Arnoldt auf dem Sportplatz. In den Statements der Häftlinge erscheint die Wahl des Standorts:Garten, Andachtsraum oder Flur oder der Requisiten: das Bruce-Lee-Handtuch, das selbstgemalte Bild oder die coolen Sneakers als Verweis auf einen stolzen Rest von Kontrolle und Spielraum. Und damit wird auch Dirks Phantasiewelt wieder sehr real.«